17 Die Biologie der Ethik

Autorin: Antje Sieb

Die Biologie der Ethik

Unsere moralischen Vorstellungen und Überzeugungen sind Grundlage für unser Zusammenleben und ein Fundament unserer Kultur. Inwieweit sind auch sie ein Produkt der Biologie, ein Produkt unserer biologischen Geschichte, der Evolution? Und wie hat unsere kulturelle Entwicklung unsere biologische Evolution beeinflusst? Und was bedeuten die Erkenntnisse dazu für unser Selbstverständnis?

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Sendung als Podcast

Download Funkkolleg Biologie und Ethik (17), MP3-Audioformat, 24:39 Min., 46.1 MB

Sendung in hr-iNFO: 10.03.2018, 11:30 Uhr

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Zusatzmaterial

  1. Kulturelle Evolution und Moralfähigkeit
  2. Normative Ordnungen
  3. Entwicklungspsychologie
  4. Verhaltensregulation im Gehirn: Frontallappen, temporoparietale Junktion, etc.
  5. Biochemische Funktionssteuerung im Gehirn
  6. Universelle Menschenrechte – Moral für die Menschheit

1. Kulturelle Evolution und Moralfähigkeit

Literatur zum Thema:

  • Lind, G: Moral ist lehrbar! Wie man moralisch-demokratische Fähigkeiten fördern und damit Gewalt, Betrug und Macht mindern kann. 2015. Logos. ISBN 978-3-8325-4123-1
  • Oehler, J: Der Mensch – Evolution, Natur und Kultur. 2010. Springer. ISBN: 978-3642103490
  • Sommer, V: Lob der Lüge. Wie in der Evolution der Zweck die Mittel heiligt. 2015. S. Hirzel Verlag. ISBN 978-3-7776-2537-9
  • Voland, E & Voland, R: Evolution des Gewissens: Strategien zwischen Egoismus und Gehorsam. 2014. S. Hirzel Verlag. ISBN 978-3-7776-2376-4.

Im Gegensatz zur genetischen Evolution der Organismen beruht die kulturelle Evolution (auch kulturelle Entwicklung) auf der Fähigkeit, nicht angeborenes, sondern durch Erfahrung bedingtes Verhalten von einem Artgenossen zu übernehmen, was durch Nachahmung oder symbolische Vermittlung geschehen kann.

Ein Übersichtsartikel im Spektrum-Lexikon Biologie stellt hier einen guten Einstieg dar:

http://www.spektrum.de/lexikon/biologie/kulturelle-evolution/37630

Zum Thema Moralfähigkeit und moralische Kompetenz hat der Konstanzer Philosoph und Sozialforscher Georg Lind sogar eine Messmethode entwickelt:

http://www.uni-konstanz.de/ag-moral/mut/mjt-engl.htm

In einem von der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung veranstalteten Diskussion mit Georg Lind geht es um die Möglichkeit, moralische und demokratische Kompetenzen zu befördern:

Das Video kann unter https://www.youtube.com/watch?v=HxmY7dye8hM angesehen werden.

Die Psychologin Monika Keller, die am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin forscht und an der Freien Universität Entwicklungspsychologie lehrt, hat zur moralischen Entwicklung von Kinder folgenden gut verständlichen Artikel veröffentlicht:

http://www.spektrum.de/magazin/vom-engel-zum-bengel/914515

Zur Moralentwicklung und moralischen Sozialisation nimmt sie im folgenden Text eine historische Reflexion auf das Thema der Moralentwicklung vor und zeigt dann anhand eigener Forschungen zum Thema verschiedene Positionen und Fragestellungen auf.  Schließlich skizziert sie die Bedingungen des moralischen Lernens in unterschiedlichen sozialen Kontexten (mit umfangreicher Literaturliste).

https://www.mpib-berlin.mpg.de/volltexte/institut/dok/full/keller/Keller_Moralentwicklung_2005.pdf

Im folgenden kurzen Interview der Deutschen Welle mit Monika Keller geht es um das Thema soziale Intelligenz und Moralentwicklung:

Das Video kann unter www.youtube.com/watch?v=m4C3levntxU angesehen werden.

Interessant sind in diesem Zusammenhang auch die Arbeiten des amerikanischen Psychologen und Harvard-Erziehungswissenschaftlers Lawrence Kohlberg zur moralischen Entwicklung des Menschen. Er vertritt die Ansicht, der Prozess der Moralentwicklung sei nicht mit einem bestimmten Lebensalter abgeschlossen, sondern könne sich ein Leben lang hinziehen. Die in seinem Modell höchste Entwicklungsstufe − die Begründung moralischen Handelns durch universelle Prinzipien − ist dabei als hypothetisches Ziel zu sehen, das nur von wenigen Menschen erreicht wird.

Diese Entwicklungsstufen sind auch in folgendem Lernvideo dargestellt:

Das Video kann unter www.youtube.com/watch?v=PaE_kJzdYQQ angesehen werden.

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2. Normative Ordnungen

Auf der Lernplattform der Stiftung Weltethos (http://www.global-ethic-now.de/index.php) heißt es: Die normative Ethik ist zukunftsgewandt. Sie vergleicht den Ist-Zustand mit dem anzustrebenden zukünftigen Zustand. Normative Ethik reagiert also auf ein tatsächliches oder vermutetes Defizit und versucht es zu beseitigen.

Im Gegensatz zur normativen Ethik steht die deskriptive (beschreibende) Ethik, deren Aufgabe es ist, die tatsächliche Moral möglichst genau empirisch zu erfassen.

Eine weitere Beschreibung der „normativen Ethik“ liefert ein Arbeitstext der Universität Tübingen in seinem Kapitel 1.1:

http://www.uni-tuebingen.de/fileadmin/Uni_Tuebingen/Fakultaeten/PhiloGeschichte/Dokumente/Downloads/ver%C3%B6ffentlichungen/Metaethik.pdf

Darin: „Einerseits gibt es normative Ethiken, die selbst moralische Urteile formulieren und zu begründen versuchen (Kapitel 1.1), und andererseits gibt es deskriptive Ethiken, die keine moralischen Urteile fällen, sondern ihren Gegenstand, die Moral, in seinen unterschiedlichen Aspekten und Erscheinungsformen lediglich beschreiben (Kapitel 1.2).“

Auch auf den bereits in früheren Sendungen zitierten Seiten von Pflanzen-Forschung-Ethik.de findet sich ein detaillierter Überblick über die Moraltheorien der Normativen Ethik:

http://www.pflanzen-forschung-ethik.de/ethik/1498.ethik-moraltheorien.html

Das Exzellenzcluster „Die Herausbildung normativer Ordnungen“ an der Goethe-Universität Frankfurt am Main untersucht „mit einem thematischen Fokus auf die Herausbildung normativer Ordnungen die gegenwärtigen Konflikte um eine gerechte Weltordnung und ihre historische Genese aus der Perspektive verschiedener geistes- und sozialwissenschaftlicher Disziplinen (Philosophie, Geschichte, Politik- und Rechtswissenschaft, der Ethnologie, Ökonomie, Religionswissenschaft und Soziologie). Im Unterschied zu funktionalistischen Erklärungsversuchen, die sich stets auf normexterne Faktoren beziehen geht es dem Cluster um die internen Konflikte, Prozesse und Prozeduren bei der Herausbildung normativer Ordnungen“:
(http://www.normativeorders.net/de/)

  • Forst, R & Günther, K (Hrsg.) (2011). Die Herausbildung normativer Ordnungen. Interdisziplinäre Perspektiven. Frankfurt am Main: Campus-Verl.
  • Forst, R (2011). Kritik der Rechtfertigungsverhältnisse. Perspektiven einer kritischen Theorie der Politik. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
  • Forst, R (2015). Normativität und Macht. Zur Analyse sozialer Rechtfertigungsordnungen. Berlin: Suhrkamp.

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3. Entwicklungspsychologie

Das Essay „Entwicklungspsychologie“ (Stiksrud, A & Schmitz, E, 2000) auf Spektrum Online (http://www.spektrum.de/lexikon/psychologie/entwicklungspsychologie/4183) bietet einen guten Einstieg in dieses Thema.

Der Münchner Entwicklungspsychologe Professor Markus Paulus von der Ludwig-Maximilians-Universität forscht insbesondere über die Anfänge sozialen Verhaltens in der kindlichen Entwicklung. In Laborexperimenten mit unterschiedlichen Fragestellungen untersucht er zum Beispiel die Bereitschaft von Kindern, mit anderen zu teilen. Gut verständliche Zusammenfassungen einiger seiner wissenschaftlichen Veröffentlichungen der letzten Jahre finden sich hier:

Markus Paulus‘ Münchner Kollegin, die Entwicklungspsychologin Beate Sodian, stellt ihre Einführung in „Grundlagen der Entwicklungspsychologie“ online zur Verfügung:

http://www.psy.lmu.de/epp/studium_lehre/lehrmaterialien/lehrmaterial_ss10/wintersemester1011/lehrmat_sodian/einf_entwspsycho/bsc_1nfws10.pdf

Im Rahmen des 2016 gesendeten Telekollegs „Faszination Psychologie des Bayrischen Rundfunks (https://www.br.de/telekolleg/faecher/psychologie/faszination-psychologie110.html) war eine Folge auch der Entwicklungspsychologie gewidmet: https://www.br.de/telekolleg/faecher/psychologie/entwicklungspsychologie100.html

Insbesondere ging es dabei um die verschiedenen Entwicklungsphasen (https://www.br.de/telekolleg/faecher/psychologie/entwicklungspsychologie104.html) und die Folgen von Erziehung (https://www.br.de/telekolleg/faecher/psychologie/entwicklungspsychologie108.html).

Zum Weiterlesen laden zahlreiche Literaturtipps ein:
https://www.br.de/telekolleg/faecher/psychologie/entwicklungspsychologie102.html

Siegler, R/ Eisenberg, N/ DeLoache, J & Saffran, J (2016). Entwicklungspsychologie im Kindes- und Jugendalter, herausgegeben von Sabina Pauen, 4. Aufl. Berlin [u.a.]: Springer.

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4. Verhaltensregulation im Gehirn: Frontallappen, temporoparietale Junktion, etc.

Das Gehirn: Frontallappen

Dorsolateraler präfrontaler Kortex

Inselrinde

Temporoparietal Junction

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5. Biochemische Funktionssteuerung im Gehirn

Das Oxytocin ist ein Hormon des Hypothalamus und wird von der Hirnanhangsdrüse (Hypophyse) ausgeschüttet. Es ist ein Peptidhormon aus neun Aminosäuren mit einer Disulfidbrücke zwischen zwei Cysteinresten (Strukturformel s.u.). Oxytocin bewirkt eine Kontraktion der Gebärmuttermuskulatur (Myometrium: mittlere, aus glatter Muskulatur bestehende Schicht der Wand der Gebärmutter) und löst damit die Wehen während der Geburt aus.

Nach Ende der Schwangerschaft bewirkt die Ausschüttung von Oxytocin Kontraktionen der myoepithelialen Zellen in der Brustdrüse und regt somit die Milchsekretion an. In der klinischen Geburtshilfe wird das Hormon parenteral (Wehentropf) zur Einleitung oder Steigerung der Geburtswehen eingesetzt.

Beim Mann führt Oxytocin zu einer Kontraktion der glatten Muskelzellen der Samenkanälchen und ist in der Prostata in höheren Konzentrationen vorhanden als im Blut. Früher stand es auch als Nasenspray zur Verfügung. Doch seit 2008 ist das Oxytocin-Nasenspray nicht mehr in Deutschland im Handel.

Strukturformel von Oxytocin. (Quelle: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/0/0f/Oxytocin.jpg)

Weiterführende Literatur

Das Serotonin (5-Hydroxytryptamin (5-HT), Enteramin) ist ein Gewebshormon und Neurotransmitter. Es kommt im Zentralnervensystem, Darmnervensystem, Herz-Kreislauf-System und im Blut vor und beeinflusst eine Vielzahl von emotionalen Prozessen, wie Aggression und Angst. Ein unausgeglichener Serotoninspiegel findet sich u.a. bei Krankheiten wie Depressionen, Zwangs- und Angststörungen.

Strukturformel von Serotonin. (Quelle: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/d/dd/Serotonin-skeletal.png)

Weiterführende Literatur

  • Spektrum Online (1999). Serotonin. (http://www.spektrum.de/lexikon/biologie/serotonin/61183)
  • Spektrum Online (2000). Serotonin. (http://www.spektrum.de/lexikon/neurowissenschaft/serotonin/11758)
  • Carhart-Harris, RL & Nutt, DJ (2017). Serotonin and brain function: a tale of two receptors. J Psychopharmacol 31 (9): 1091-1120. (DOI: 10.1177/0269881117725915) (PDF)
  • Andrews, PW et al. (2015). Is serotonin an upper or a downer? The evolution of the serotonergic system and its role in depression and the antidepressant response. Neurosci Biobehav Rev 51: 164-188. (DOI: 10.1016/j.neubiorev.2015.01.018) (PDF)
  • Lesch, KP & Waider, J (2012). Serotonin in the Modulation of Neural Plasticity and Networks: Implications for Neurodevelopmental Disorders. Neuron 76 (1): 175-191. (DOI: 10.1016/j.neuron.2012.09.013) (PDF)
  • Nordquist, N & Oreland, L (2010). Serotonin, genetic variability, behaviour, and psychiatric disorders – a review. Ups J Med Sci 115 (1): 2-10. (DOI: 10.3109/03009730903573246) (PDF)
  • Berger, M/ Gray, JA & Roth, BL (2009). The expanded biology of serotonin. Annu Rev Med 60: 355-366. (DOI: 10.1146/annurev.med.60.042307.110802) (PDF)
  • Mohammad-Zadeh, LF/ Moses, L & Gwaltney-Brant, SM (2008). Serotonin: a review. J Vet Pharmacol Ther 31 (3): 187-199. (DOI: 10.1111/j.1365-2885.2008.00944.x) (PDF)
  • Dayan, P & Huys, QJ (2008). Serotonin, Inhibition, and Negative Mood. PLoS Comput Biol 4 (2): e4. (DOI: 10.1371/journal.pcbi.0040004) (PDF).
  • Tebbe, JJ & Arnold, R (2004). Serotonin und Serotoninrezeptoren: Ziel neuer Therapieoption in der Gastroenterologie. Dtsch Arztebl 101(14): A-936. (PDF)
  • Meeusen, R et al. (2001). Neurotransmitter im Gehirn während körperlicher Belastung. Dtsch Z Sportmed 52 (12): 361-368. (PDF)
  • Neurotransmitter. Skript zum Seminar Biopsychologie Vertiefung, Wintersemester 2007/08, Universität Trier (PDF)

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6. Universelle Menschenrechte – Moral für die Menschheit

Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte wurde am 10. Dezember 1948 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen im Palais de Chaillot in Paris genehmigt und verkündet. (http://www.un.org/depts/german/menschenrechte/aemr.pdf)

Eleanor Roosevelt mit einem Ausdruck der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte in Englisch. (Quelle: https://c1.staticflickr.com/5/4034/4306302472_f2a251e309_o.jpg)

Weiterführende Literatur

„Andererseits birgt auch zu großer Relativismus Risiken für die Gemeinschaft, denn die lebt davon, dass Menschen miteinander und nicht bloß nebeneinanderher agieren. Wie viel Toleranz muss also sein? Eine Antwort darauf gilt es immer wieder auszuhandeln; auch die Neuroethik liefert keine bessere Lösung. Doch sie lehrt zumindest eins: Nicht Gut und Böse selbst sind im Gehirn angelegt, sondern unsere Fähigkeit, sie zu empfinden. Der Mensch ist zur Moral geboren – nur nicht zu einer bestimmten.“

John Tasioulas über Menschenrechte

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Zusatzmaterialien als PDF zum Herunterladen

Die Materialien wurden zum Zugriffszeitpunkt 07.03.2018 erstellt von:
Volker Mosbrugger, Sybille Roller, Francesco Lupusella und Julia Krohmer.